Es ist sehr schwierig, ukrainischen Aktivist*innen zu erklären warum „gute“ westliche Linke ständig mit Stalinist*innen auf den selben Demonstrationen auftauchen. Warum die „europäische“ Partei Die Linke mit der KPU zusammenarbeitet und die Freundschaft mit Putin aufrechterhält. Warum der amerikanische „Anarchist“ Monson mit der sowjetischen Hymne in die Arena geht und sich mit St.Georgs-Bändern fotografieren lässt. Genauso schwierig ist es, den Deutschen zu erklären, warum die ukrainischen Liberalen und Menschenrechtler*innen nicht vor der Freundschaft und Zusammenarbeit mit Nazis zurückschrecken. Warum für die faschistische „Svoboda“ nicht nur Deppen gestimmt haben, sondern auch die aufgeklärte Intelligentsia, und unpolitische Menschen die sich „mehr Aufrichtigkeit und Radikalismus im Parlament“ gewünscht haben. Warum der Rechte Sektor, obwohl er wenig Stimmen hat, trotzdem als durchaus legitime politische Kraft wahrgenommen wird, mit der man einen Dialog führen kann.
Wir haben es mit ein und demselben strukturellen Problem zu tun. Sowohl die Deutschen als auch die Ukrainer*innen sind traumatisiert, aber einseitig traumatisiert.
Deutschland hat den Nationalsozialismus durchgemacht, die Ukraine den Stalinismus, und beide haben sich zu den entsprechenden Ideologien eine bestimmte politische Immunität erarbeitet. Es versteht sich, dass diese Erscheinungen noch nicht bewältigt sind, aber klassische Nazis in Deutschland und prosowjetische Linke in der Ukraine – das ist ein politisches Ghetto. Vielleicht kein kleines und durchaus sichtbar, aber sie haben keine Tendenzen und Perspektiven, wirklich stark zu werden.
Die Wähler*innenbasis der Kommunstischen Partei der Ukraine ist stabil und auf ihre Art sogar aktiv, aber zu nichts fähig, außer Pjotr Simonenko zu helfen, Geld für Auftritte oder für den Nicht-Eintritt in eine gewöhnliche Koalition zu verdienen. Stalinist*innen, die auf irgendwelche Erfolge in der Urkaine hoffen, müssen ihrem Idol den Schnurrbart abrasieren und ihn mit schicken „eurolinken“ Farben bemalen, und ihre Grundinhalte hinter der Leiche von Lenin und Schmökern von Žižek verstecken. Sie werden keinen gemeinsamen Weg mit der KPU oder deren Satelliten gehen.
Das gleiche kann man über Deutschland und die NPD sagen. Die lokalen Neonazis haben eine stabile Unterstützung von Marginalen, sie decken einige wenige (durchaus lebensgefährliche) ultrarechte Schläger*innen ab. Ihre Unterstützung aus der Gesellschaft reicht dafür, dass sie ihre Partei erhalten können, aber nicht für mehr, in die zentralen Machtgremien werden sie nie gelangen. Andererseits haben aber rechte Populist*innen, die sich vom Hitlerismus distanziert haben und die gute alte „Hassrede“ in konspirologisches Neusprech verwandelt haben, durchaus Perspektiven. Ihre Aktionen werden nicht von Antifaschist*innen blockiert oder attackiert, und ihre Ideen finden in konservativen Kreisen Anklang. Also zu sagen, dass der Faschismus in Deutschland für immer ausgestorben sei, ist ein an Dummheit grenzender Optimismus, aber der Faschismus wird nie mit Hakenkreuz-Flagge aus der Versenkung auftauchen.
Schon der Verdacht des Hitlerismus versperrt dir in Deutschland den Weg in die nicht-marginale Politik. In der Ukraine wirft dich der Verdacht des Stalinismus auf den Randstreifen der Realpolitik. Dabei werden offene Stalinist*innen in Europa freudig empfangen, und offene Nazis in der Ukraine werden als die harmlose „patriotische Jugend“, und sogar die zukünftige Hoffnung der ukrainischen Nation gesehen.
Die einzige Möglichkeit, diesen schändlichen Kreis der Unwissenheit zu durchbrechen, ist eine Informations-Globalisierung. Allmählich muss sich die Kommunikation zwischen Politiker*innen und Aktivist*innen verschiedener Länder ausbauen, ein Erfahrungsaustausch stattfinden und Texte übersetzt werden. Wir müssen von Europa demütig den Antifaschismus lernen, aber auch europäische Linke sollten ihre Überheblichkeit ein bisschen zurückstecken und von uns den viele Jahre hart erkämpften Antistalinismus lernen.